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München, 1984 | 128 Seiten | vergriffen

ISBN
3-922935-17-6
Karl Held, Theo Ebel

Abweichende Meinungen zur "Wende"

Das 'Modell Deutschland' macht mobil

Sind Vorkriegszeiten wirklich harmlos, bloß weil noch nicht Krieg ist?

Der Westen will die Endabrechnung; nicht nur ein durchgedrehter US-Präsident drägt darauf und scherzt darber. Die NATO tut alles, damit es dazu kommt – zu ihren Konditionen. Das Waffenarsenal wird reichhaltiger, das Menschenmaterial einsatzbereiter gemacht. Die Ansprüche gegen den Feind, die friedliebenden Mahnungen zum Wohlverhalten werden frecher. Die 'Deutschland-Politik' wird mutiger.

Das ändert die Stimmung im Land – und nicht nur die. Rücksichtslosigkeit gilt als Erfolgsrezept. Für einige ist sie das auch. Die demokratischen Christen und die Liberalen haben daraus 'die Wende' verfertigt. Die Opposition macht das Echo zur 'geistig-moralischen Erneuerung'.
Und das gute deutsche Volk? Macht mal wieder mit; arbeitet – oder auch nicht; macht Kinder und kann die Türken nicht leiden. Die Russen sowieso nicht. So geht es zu, wenn eine demokratische deutsche Republik mobil macht.

Alles Nähere erläutert dieses Buch.

Inhaltsverzeichnis
  • Perfekte Demokratie: Volk antreten zum Machtwechsel!
  • Mit der NATO geht's: ...ber alles in der Welt!
  • Drei Dinge braucht die Macht: Aufschwung total, Friede sozial, Armut normal
  • Deutsche Reinheitsgebote: Fhren, Folgen, Kinderkriegen, Trken raus!
  • Die christliche Moral einer deutschen Nation: Einig, recht und frei!
Vorwort

Die "Wende" und ihre kritischen Liebhaber

Die Koalitionsregierung, die ihrer Machtübernahme stolz den Titel einer "Wende" gab, ist von öffentlicher Unzufriedenheit nicht verschont geblichen. Kein Tag vergeht, ohne daß sich mehr oder minder gewichtige Stimmen zu Wort melden, die an den Qualitäten der neuen Führung zweifeln.

Mit einem allerdings sind die Bedenken unserer demokratischen Öffentlichkeit ganz sicher nicht zu verwechseln: mit Kritik an den Werken der Regierung Kohl. Was da an Vorbehalten und Mahnungen vorgetragen wird, erinnert eher an eine Liste von Anträgen, die vom Bedürfnis nach absolut glaubwürdiger Regierung zeugen. Deutsche Demokraten werden jedenfalls nicht müde, Belege für dieses Verlangen zu liefern. Es bewegt sie weit mehr als die Frage nach Grund und Zweck der gemachten Politik sowie nach deren notwendigen Wirkungen.

1. So erfreut sich der - Karikaturisten abgelauschte - Befund, beim neuen Kanzler handle es sich, recht besehen, um eine Birne, der größten Beliebtheit. Leider ist mit dieser Respektlosigkeit - die seit der Amtszeit von Präsident Lübke etwas aus der Mode gekommen war - nicht die schlichte Entdeckung gemeint, die leicht zu haben ist: Kanzler Kohl macht von seinem Verstand immerzu jenen eigenartigen Gebrauch, welcher Dummheiten hervorbringt. Vielmehr geht es bei der Verächtlichmachung des "Menschen" Kohl darum, daß ihm aufgrund seiner Fähigkeiten die Qualifikation abgesprochen wird, und zwar für das Amt, das er gerade versieht. Und dieser Einwand ist sehr verräterisch. Immerhin erachtet er die von einem bundesdeutschen Kanzler ausgeübte Macht genauso wie Herr Kohl selbst für einen so unbedenklichen und ehrenwerten Auftrag, daß dieser unbedingt auch noch mit den Zierden des Geistes ausgestattet und erfüllt gehört. Insofern ist die Respektlosigkeit des Birnenwitzes eine schiere Täuschung. Da dringen politisierende Gemüter darauf, daß ein von ihnen zutiefst respektiertes Geschäft - das des "Führens" - nur von Leuten versehen werde, die es auch dem anspruchsvollen Liebhaber guter Herrschaft recht machen. Dieser Idealismus ergreift Partei lediglich für ein Personal an der Spitze des Staates, das sich auf die kundige, gekonnte, geschickte und raffinierte Repräsentation der nationalen Belange versteht. Dem Amt und seinen "Pflichten" gegenüber verhält sich der zum Nationalsport entwickelte Spott über die "Birne" ebenso anerkennend und botmäßig, wie er elitär auftritt in Bezug auf die Person, die den Geschmacks- und Stilansprüchen mündiger Bürger entsprechen muß. Solche Bürger melden ihr Recht auf eine respektable Besetzung der Hauptrollen in ihrem Staat an, damit sie ihn in aller Form hochachten können. Die Anhänger der parteipolitischen Alternativen machen sowieso kein großes Aufheben über das, was sie einklagen. Der gewünschte , "Einklang" ist der zwischen der Souveränität der Staatsmacht und der des sie ausübenden Personals. Überflüssig ist für dieses politische Bedürfnis eine Prüfung der Leistungen, die eine funktionierende Regierung so vollbringt. Das könnte ja höchstens zu der schädlichen Feststellung Anlaß geben, daß das Regieren weder beim gegenwärtigen noch bei früheren Kanzlern eine Angelegenheit ist, die auf der Wahrhaftigkeit ihres geistigen Schaffens beruht.

2. Nicht besser steht es um die Meldungen, die ganz ohne Spott vom Schaden künden, der mit dem "Versager" Kohl über die Nation gekommen sein soll. Wer bei der Verfolgung des Treibens in Bonn bemängelt, der neue Mann sei »unfähig zu klaren Entscheidungen", hat sich eben auch nicht groß mit dem Inhalt dessen auseinandergesetzt, was in Bonn täglich entschieden wird. Er gibt nur Auskunft darüber, daß ihm - Demokratie hin, Demokratie her - das Ideal tatkräftigen und hemmungslosen Regierens äußerst geläufig ist. Wer darüber hinaus ständig die Frage wälzt, ob die Koalition nun "brüchig" sei und der Kanzler auch mit den Streitigkeiten in seiner Mannschaft fertig werde, ob er gar den Quertreibereien eines Strauß gewachsen sei, den drückt nur eine Sorge. Konkurrenz und Kritik hält er weniger für sozialkundebuchträchtige Vorzüge der Demokratie, sondern für eine einzige Gefährdung der Macht. Die hohen Herren haben sich gefälligst zu vertragen und alles unter Kontrolle zu behalten! Andernfalls passiert das Schlimmste was sich passionierte Demokraten vorstellen können - die Regierung verliert das "Vertrauen", "Staatsverdrossenheit" kommt auf, und keiner weiß mehr ein Machtwort, auf das er sich verlassen kann. Im Zuge solcher Sympathiekundgebungen für gelungene, weil reibungslose Herrschaft darf dann schlicht mit schwankenden Beliebtheitskurven der zuständigen Figuren gewarnt werden. Auf diesem Gebiet ist nie von einem Grund dafür die Rede, daß das Volk ausgerechnet von Zutrauen zu seinen Herrschaften erfüllt sein müßte. Dieses Wunschergebnis demokratischer Phantasie - die Regierten zollen den Regierenden uneingeschränkten Respekt - scheint den Mahnern ständig in Gefahr. Und zu seiner (Wieder-) Herstellung raten sie auch schon einmal dem Kanzler, er möge "mehr arbeiten". Auch aus solchen, besonders im "Spiegel" breitgetretenen Vorwürfen gegen des Kanzlers "Arbeits- und Führungsstil" geht nur eines hervor: Die Sehnsüchte "kritischer Demokraten" richten sich auf die "Fähigkeiten" der "Macher", die für ein demokratisches Untertanengemüt Personenkult erlauben und Kritik an qua Amt vollbrachten Taten überflüssig machen. Die Lenker des Gemeinwesens werden allen Ernstes daran gemessen, ob sie es verstehen, Politik glaubwürdig zu verkaufen!

3. Nur aus dieser Haltung erklärt es sich, warum die Fälle von vermuteter bis erwiesener Korruption zum Dauerbrenner demokratischen Raisonnierens geworden sind. Als wäre die legale Zusammenarbeit der politischen Macht mit denen, die "die Wirtschaft" heißen, eine einzige Wohltat für Arbeitende und Arbeitslose, wird sich auf das Thema "Sauberkeit" gestürzt! Ganz als ob die Beschmutzung führender "Westen" der springende Punkt für die regierte Mehrheit wäre, um den Konsens mit der Herrschaft zu kündigen oder zu bekräftigen, wird da über nichts anderes verhandelt als eben über diesen Konsens. Der muß nämlich stabil sein, und garantiert wird er angeblich nur durch den öffentlich zur Schau gestellten Anstand in Regierungskreisen! In den Einbildungen heutiger Kritiker gerät eben der Staat zum einzigen Geschädigten, dessen Sache zählt. Vor diesem Maßstab läßt sich das auf den Erfolg der Regierung gemünzte Argument, sie würde unserem herrlichen Gemeinwesen keine guten Dienste erweisen, sooft sie im Inneren für Zwietracht Gelegenheiten stiftet, sachkundig erweitern. Daß die Regierung Kohl es an der tatkräftigen Durchsetzung deutscher Interessen und Rechte fehlen läßt, ist die entsprechende Ergänzung der "Kritik" für alles "Außenpolitische". Freilich kürzt sich das Kriterium erfolgreicher Außenpolitik allemal auf die banale Überlegung zusammen, was für ein ,,Gewicht" die Repräsentanten eines Staates diesem in der internationalen Konkurrenz zu verschaffen vermögen. Bloß läßt sich dabei kaum übersehen, daß bei diesem höchst ehrbaren Unternehmen das bißchen Volk daheim selbstverständlich als dienstbare Manövriermasse unterstellt ist. Was der vielbeschworene und gerügte ,.Ausverkauf deutscher Interessen" - wie er dem letztlich doch ,,matten" Kohl zur Last gelegt wird - auswärts und daheim anrichtet, berührt diese Sorte nationalistischer Kritik jedenfalls nicht. Die Mittel zur durchschlagskräftigen Vertretung der deutschen Sache werden dem ,,Versager" ja in jeder Größenordnung ideell zugestanden - eben um ihn mit seinen diplomatischen Künsten zu blamieren.

Kurz: Die Souveränität der Nation - nach innen wie nach außen - ist zum allgemeinverbindlichen Maßstab der "Kritik" geworden. Daß da ein ziemlich "totalitärer" Gesichtspunkt die meckernden Gemüter von rechts bis links beflügelt, kümmert die wenig. Sie bekennen sich ja zu lauter armseligen Zeugnissen einer "politischen Kultur", die den Maßstäben der "Wende"-Politiker so unheimlich verbunden ist.

Die kritisierenden Demokraten verpassen den Witz an der Wende nicht aufgrund mangelnden Bescheidwissens. Sie haben Gefallen gefunden an den Zielsetzungen der neuen Mannschaft - und sie messen sie nur noch daran, ob sie auch schleunigst und glaubwürdig von den ihnen zu Gebote stehenden Machtmitteln einen ordentlichen Gebrauch macht. Deswegen gibt es auch immerzu den Einwand, die Regierung Kohl/Birne hätte "vor dem eigenen Anspruch versagt". Insofern tragen sie auf ihre Weise dazu bei, daß "wir" der Sache schon näher kommen.

Welcher Sache? Davon handelt dieses Buch.